Im Rahmen des Einführungsseminars fand am letzten Tag ein ganztägiges Seminar statt, dass von der Stiftung Berliner Mauer ausgerichtet wurde.
Zunächst besichtigten wir die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße, wo sich das letzte Stück der Berliner Mauer befindet, das noch in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und einen Eindruck vom Aufbau der Grenzanlagen zum Ende der 1980er Jahre vermittelt. Die Gedenkstätte, die sich beidseits der Bernauer Straße erstreckt hat uns tief beeindruckt und uns wurde bewusst, was die Teilung Berlins und die Schrecken der Berliner Mauer für die Menschen bedeutet haben musste.
Gleich im Anschluss an die fachkundige Führung durch die Gedenkstätte fanden Zeitzeugengespräche statt, die uns sehr bewegt haben.
Das erste Zeitzeugengespräch führte Joachim Rudolph. Als Student wollte er von der Verkehrshochschule an die Technische Hochschule Dresden wechseln, um dort Nachrichtentechnik, Kybernetik und Informationstheorie zu studieren. Unmittelbar zuvor getroffene Regelungen im sozialistischen Wirtschaftsblock zur Aufteilung von Wirtschaftszweigen auf bestimmte Länder machten den Studienplatzwechsel zunichte. Auch hörte er von anderen Studenten, dass sie sich freiwillig zum Armeedienst verpflichten mussten, um weiter studieren zu können. Joachim Rudolph ließ sich daraufhin exmatrikulieren und beschloss, nach West-Berlin zu flüchten. Auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit erkundete Joachim Rudolph gemeinsam mit einem Freund wochenlang die Grenzanlagen. Im September 1961 wagten die beiden die Flucht: In einer finsteren Nacht krochen sie im Norden von Berlin, von Schildow kommend, durch das Tegeler Fließ über die Grenzsperren Richtung Lübars. In West-Berlin setzte Joachim Rudolph sein Studium an der Technischen Universität fort. Dort lernte er andere Studenten kenne, die nach neuen Fluchtmöglichkeiten für Freunde und Verwandte suchten. Er gehörte zu den ersten fünf Fluchthelfern, die einen Tunnel unter der Bernauer Straße hindurch Richtung Ost-Berlin zu graben begannen. Unter großen Anstrengungen gruben sie monatelang einen Stollen. Mehrere Wassereinbrüche ließen das Unternehmen beinahe scheitern. Deshalb beteiligte sich Rudolph mit einigen anderen Fluchthelfern gleichzeitig bei der Öffnung eines Tunnels in der Kiefholzstraße, der von einer anderen Gruppe vorbereitet worden war. Am 14. September 1962 war es dann aber auch in der Bernauer Straße so weit: Joachim Rudolph gehörte zu den Fluchthelfern, die den Tunnel auf der Ost-Berliner Seite öffneten und die Flüchtlinge in Empfang nahmen. An zwei Tagen krochen 29 Menschen, unter ihnen sogar ein Säugling und mehrere Kleinkinder, durch den Tunnel glücklich in den Westen. Rudolph erzählte uns, dass er sich unmittelbar nach dieser erfolgreichen Fluchtaktion an den Grabungsarbeiten für einen weiteren Tunnel beteiligte, der von dem gleichen Fabrikgebäude in der Bernauer Straße 79 Richtung Brunnenstraße 45 führte. Dieser Tunnel wurde jedoch von einem Spitzel verraten und zahlreiche Flüchtlinge und einige der Fluchthelfer, die als Kuriere in Ost-Berlin unterwegs waren, verhaftet. Herr Rudoph beantwortetet unserer zahlreichen Frage. Ganz besonders gefreut und bewegt hat es uns zu erfahren, dass er die erste Frau, die aus dem Fluchttunnel herauskam später geheiratet hat.
Ein weiteres Zeitzeugengespräch führte die blinde Frau Christel Jung, die in der damaligen DDR eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Schreibtechnik im Rehazentrum für Blinde und Sehbehinderte in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) absolvierte. Aus ihrem Leben erzählte sie uns, dass sie zunächst als Stenotypistin im VEB Rohrleitungsbau Karl-Marx-Stadt und danach als Telefonistin im Baukombinat Leipzig (BKL), Betonwerk Naunhof arbeitetet. Bei einem Wohnungsbrand im Jahr 1978 Wohnungsbrand wurde ihr gesamtes Hab und Gut vernichtet und lebte kurzzeitig in Obdachlosigkeit. 1979 wurde sie in einer Massenunterkunft für Bauarbeiter in Leipzig untergebracht und ihr Sohn wurde ins Kinderheim eingewiesen. Von diesem Moment an begannen die Androhungen des Entzugs des Sorgerechts aufgrund der Blindheit, was uns tief bewegt hat. Frau Jung schilderte uns bildhaft, dass nachdem im Juli 1979 die Flucht des Lebensgefährten nach Hamburg gelang, die Überwachung und Verhöre durch die DDR-Sicherheitsorgane ihren Anfang nahmen und ihr Lebensgefährte Fluchtvorbereitungen für sie begann. Anfang 1980 stellte sie ihren 1. Ausreiseantrag und im gleichen Jahr scheiterte ein Fluchtversuch über Bukarest. Wir alle waren betroffen von der Schilderung, dass daraufhin die „Zuführung“ beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Leipzig erfolgte, und die Rücknahme ihres Ausreiseantrags erzwungen wurde. Nach ihre Entlassung mit Auflagen stellte sie gleich erneut einen Ausreiseantrag und sie unternahm einen weiteren Fluchtversuch über Prag, der wieder scheiterte. Nach „Ermahnungen“ durch das MfS gab man aber klein bei und am 25. Oktober 1980 erfolgte ihre Ausreise aus der DDR. Dass die DDR selbst Menschen mit Behinderung kein Entgegenkommen zeigte in Freiheit zu leben und in den Westen auszureisen verdeutlichte uns die ganze erschreckende Dimension der SED-Diktatur.
Im Anschluss besuchten wir im Rahmen des ganztägigen Seminars auch die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, die das zentrale Museum in Deutschland zum Thema Flucht und Ausreise aus der DDR. Bei einer fachkundigen Führung erfuhren wir weitere erschreckende Details. So dass rund vier Millionen Menschen zwischen 1949 und 1990 die DDR in Richtung Bundesrepublik verließen und rund 1,35 Millionen von ihnen das 1953 gegründete Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde passierten. In der Ausstellung wurden wir über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen der deutsch-deutschen Fluchtbewegung informiert.