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Zum ersten Mal seit zwölf Jahren besucht ein japanischer Ministerpräsident bilateral Seoul. Chinas Aufstieg und Washingtons Drängen bringen beide Länder zusammen.
Es war ein weiterer Schritt der Annäherung, nur eine Stufe vor der offiziellen Entschuldigung. Japans Ministerpräsident Fumio Kishida besuchte nach der Landung am Sonntag in Südkorea zunächst den Nationalfriedhof von Seoul. Dort liegen auch koreanische Widerstandskämpfer, die während Japans Kolonialherrschaft zwischen 1910 und 1945 getötet wurden. Kishida entzündete Weihrauch und gedachte der Toten. Seit zwölf Jahren hat kein japanischer Regierungschef mehr den Ort besucht.
Die historisch angespannten Beziehungen zwischen Seoul und Tokio verbessern sich in einer Geschwindigkeit, die manche kaum für möglich hielten. „Es hat zwölf Jahre gedauert, die Pendeldiplomatie wiederherzustellen, aber für unsere gegenseitigen Besuche brauchten wir weniger als zwei Monate“, sagte Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol, als er Kishida empfing. „Dies bestätigt, dass die Beziehungen zwischen Südkorea und Japan, die neu begonnen haben, sich schnell weiterentwickeln.“
Das liegt auch am Drängen Amerikas, dem Ausgreifen Chinas und an der nuklearen Bedrohung durch Nordkorea. Washington will die westliche Allianz im Indopazifik gegen China festigen. Dafür braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Japan, die davon abhängt, ob beide Länder die Aufarbeitung der Vergangenheit in den Griff bekommen. Es geht um systematische Vergewaltigungen und Zwangsarbeit durch die einstigen japanischen Besatzer.
Südkoreas Präsident Yoon machte den Anfang. Im März kündigte er einen eigenen Fonds zur Entschädigung der koreanischen Opfer an, ohne auf Beiträgen von japanischen Unternehmen zu beharren. Im eigenen Land brachte Yoon diese Vergangenheitsbewältigung massive Kritik und sinkende Umfragewerte. Amerikas Präsident Joe Biden begrüßte den Schritt als „bahnbrechendes neues Kapitel“.
Dann reiste Yoon nach Japan zum Treffen mit Kishida. Beide Länder reaktivierten ein lange brachliegendes Geheimdienstabkommen, lockerten Ausfuhrbeschränkungen und nahmen den Sicherheitsdialog wieder auf. Wenig später wurde Yoon Ende April herzlich von Biden empfangen. In der sogenannten Washington-Erklärung zeigten sich die USA bereit zu einer „kooperativen Entscheidungsfindung im Bereich der nuklearen Abschreckung“ auf der koreanischen Halbinsel. Zudem sollen nun mit Atomwaffen bestückte amerikanische Unterseeboote regelmäßig südkoreanische Häfen anlaufen. Yoon wiederum wiederholte in Washington seine noch Anfang des Jahres vorgebrachte Forderung nach eigenen Atomwaffen nicht.
Am Sonntag in Seoul sagte Yoon im Beisein Kishidas, er schließe eine Teilnahme Japans an der Washingtoner Erklärung nicht aus. Kishida sagte, „eine Reihe von Dialogen“ sei „dynamisch in Gang gekommen“. Kishida hat Yoon etwa als einen von acht Gästen zum kommenden G-7-Gipfel nach Japan eingeladen.
Noch mehr Dynamik würden sich die Südkoreaner jedoch bei der Aufarbeitung der Kolonialverbrechen wünschen. Nach seinem Treffen mit Yoon sagte Kishida: „Mir persönlich tut das Herz weh, wenn ich an die vielen Menschen denke, die unter den schwierigen Umständen der damaligen Zeit schreckliches Leid und Kummer ertragen mussten.“